Ethikkultur schützt!

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Ein aktuelles deutsches Gerichtsurteil* macht den Geschäftsführer eines Unternehmens für einen hohen sechsstelligen Schadenersatzbetrag haftbar. Warum? Der Schaden im Unternehmen sei u.a. deswegen eingetreten, weil es der Beklagte unterlassen hätte, ein Compliance-System einzurichten. Dadurch hätte er seine Überwachungspflichten vernachlässigt.

Warum ich dieses juristische Thema in meinem Blog aufgreife? Weil einige KollegInnen aus der HR-Szene „New-Work-Aficionados“ sind, die gerne gesellschaftspolitische Konzepte in ihren Unternehmen verwirklichen, die mich manchmal eher an die Anarchiebewegung des 19. Jahrhunderts erinnern als an die Unternehmensführungsrealität des 21. Jahrhunderts.

Sorgfalt, Kontrolle und Überwachung: diese Begriffe gemahnen an längst vergangene Zeiten und einen hierarchisch-autoritären Führungsstil, der nicht mehr in unsere Zeit der flachen Organisationen und der kooperativen Leadership passt, meinen manche. Wer so denkt, dem sei die Lektüre dieses richtungsweisenden Urteils empfohlen, das ich nachstehend auszugsweise wiedergeben will.

Das Gericht stellte fest, dass zu den Überwachungspflichten eines Geschäftsführers eine Kontrolle gehört, die nicht erst dann einsetzen darf, wenn Missstände entdeckt oder vermutet werden. Vielmehr hat sie präventiv anzusetzen. Die Kontrolltätigkeit hat dabei regelmäßig, stichprobenhaft und überraschend zu sein, um den MitarbeiterInnen zu zeigen, dass eine „Zero Tolerance“ in Bezug auf Rechtsverstöße gelebt wird.

Die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Geschäftsführers umfasst somit das Aufsetzen einer internen Organisationsstruktur, die für eine rechtmäßige und effiziente Verwirklichung der Unternehmensziele förderlich ist. Diese umfasst vor allem die Einrichtung eines Überwachungssystems, das relevante Risken für den Unternehmensfortbestand aufdecken soll.

Konkret wurde dem Geschäftsführer angelastet, er habe keine Stichproben durchgeführt, keine Compliance-Schulungen implementiert, keine Mitteilungs- und Dokumentationspflichten angeordnet und kein Vier-Augen-Prinzip eingeführt.

Warum er diese Maßnahmen unterlassen hat? Weil ihm - so wage ich zu behaupten - die Grundsätze ethischer Unternehmensführung kein persönliches Anliegen waren. Somit vermochte er die Unternehmenskultur nicht einmal im Ansatz so zu gestalten, dass dort sorgfältig und schadensverhindernd gearbeitet wurde. Vermutlich - so scheint es - wurde er selbst in einem Geschäftsumfeld sozialisiert, in dem eine reflektierte, nachhaltige und rechtskonforme Unternehmenskultur keine Bedeutung hatte. Unternehmenskultur bedeutet mithin nicht nur, dass sich alle super verstehen und gerne arbeiten gehen. Unternehmenskultur bedeutet vielmehr auch, eine Rechtsschutzkultur zu haben. Und das wird heute viel zu oft vergessen. 

Wer sich – im Gegensatz zu diesem Geschäftsführer – dafür interessiert, liest gerne mein Buch "Spannungsfelder im Topmanagement - Ein Praxisleitfaden für gute Corporate Governance".

Euer Christoph Dietrich

*OLG Nürnberg vom 30.3.2022, 12U 1520/19, Quelle: https://www.haufe.de/compliance/recht-politik/compliance-management-system-pflichten-des-geschaeftsfuehrers_230132_575344.html?utm_medium=email&utm_content=227543867&utm_source=hs_email