Delegation von Verantwortung: wie´s am besten funktioniert

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In einem meiner Management-Workshops kam neulich die Frage auf, ob und inwiefern die Verantwortung eines Geschäftsleiters delegiert werden könne und wie sich dies am besten bewerkstelligen ließe. Am Beispiel der Verantwortung für Compliance-Aktivitäten wurde folgendes festgehalten:

In einer mehrköpfigen Geschäftsleitung gilt der Grundsatz der Gesamtverantwortung – für alle Managemententscheidungen gilt „Mitgehangen, mitgefangen“. Durch organisatorische Maßnahmen kann dieser Grundsatz jedoch aufgeweicht werden, indem eigene Zuständigkeitsbereiche und - äußert praxisrelevant! -  separate Haftungssphären geschaffen werden.

So etwa kann die Zuständigkeit für Compliance auf eines von mehreren Geschäftsleitungsmitgliedern übertragen werden („horizontale Delegation“) oder auch an berichtspflichtige Mitarbeiter delegiert werden („vertikale Delegation“).

Eine klare Zuweisung von Zuständigkeiten erfüllt mehrere Eckpfeiler einer guten Corporate Governance: sie legen erstens den Grundstein für verantwortliches Handeln, schaffen zweitens eine Basis für Transparenz und leisten drittens einen Beitrag zur Entwicklung von Integrität. Der Zweck einer Delegation sollte natürlich nicht darin bestehen, dass sich die Geschäftsleitung bei anderen Personen „abputzen“ kann. Eine Haftung trifft sie trotzdem: erstens für die Auswahl der zuständigen Personen, zweitens für die Überwachung der ordentlichen Aufgabenerfüllung. Der Zweck einer Delegation besteht vielmehr darin, einen dedizierten Schwerpunkt für Compliance im Unternehmen zu setzen und diesen wichtigen Fachbereich strategisch wie operativ noch besser zu verankern.

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sich die Geschäftsleitung im Fall von Compliance-Verstößen auf eine wirksame Delegation berufen kann und somit haftungsmäßig exkulpiert ist?

  1. Die Verantwortung für Compliance ist klar und eindeutig einer bestimmten Person zugeordnet.
  2. Die von dieser Person wahrzunehmenden Aufgaben sind präzise umrissen. Eine schriftliche Delegation - vom Verantwortungsgeber und vom Verantwortungsnehmer unterzeichnet – ist ein hilfreiches Indiz für den Übergang der Zuständigkeit. Im Fall einer Ressortverteilung in der Geschäftsleitung wäre etwa eine entsprechende Regelung in der Geschäftsordnung hilfreich.
  3. Die zu übertragenden Aufgaben sind einer Person bzw. Organisationseinheit zweifelsfrei zugeordnet, Überschneidungen mit Verantwortungsbereichen anderer Personen bzw. Organisationseinheiten existieren nicht.
  4. Arbeitsschnittstellen zu anderen Organisationseinheiten, die der Compliance-Abteilung zuarbeiten oder von dieser Dienstleistungen erhalten, sind klar abgegrenzt. „Wer-tut-was-wann-wo-wie-mit wem“: auf diese Weise kann festgestellt werden, welche Vorleistungen für eine wirksame Compliance von den überwachten Organisationseinheiten erbracht wurden bzw. ausgeblieben sind, oder wo Compliance-Verantwortliche versagt haben.
  5. Die Tätigkeit des Compliance-Verantwortlichen muss regelmäßig und anlassbezogen überwacht werden, indem die Geschäftsleitung bzw. das zuständige Mitglied Berichte aktiv einfordert, sich damit auseinandersetzt und die eigene intellektuelle Befassung auch dokumentiert. Ein passives Berichtsverhalten oder ein „Schubladisieren“ von Compliance-Berichten schützt vor Haftung hingegen nicht.

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Wer sich in derlei Themen vertiefen will, liest am besten mein Buch "Spannungsfelder im Topmanagement - Ein Praxisleitfaden für gute Corporate Governance".