Sind homogene Führungsteams bald obsolet?

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„Oh mein Gott, die sehen ja alle gleich aus!“ Mein Entsetzen beim Anblick meines Titelbildes weicht einem Schmunzeln. Warum? Die Riege aus alten weißen Männern erinnert mich an Managementsitzungen aus meinen Bankertagen. "So hast du früher auch einmal ausgesehen", sage ich mir. Nostalgie kommt jedoch nicht in mir auf. Abstoßend finde ich den einheitlichen Dresscode, diese ostentativ zur Schau gestellte Gleichförmigkeit. Hoffentlich gehört diese (geschlechtliche) Homogenität in Vorstandsetagen bald der Vergangenheit an. Ein Blick auf meine Kunden lässt mich jedoch zweifeln - warum sind bloß so viele Unternehmen bestrebt, homogen zu wirken?

Psychologische Studien belegen: Je mehr sich Führungsteams in ihrer äußeren Erscheinung ähneln, desto mehr Stärke wird ihnen von ihren Stakeholdern zugeschrieben. Zugeschrieben, wohlgemerkt! Wie stark ist jedoch ihre reale Managementleistung?

Wenn Führungskräfte ähnliche Insignien der Macht (Anzüge, Dienstautos, Büroausstattung, Sprache, Auftreten, etc.) zeigen, darf zu Recht vermutet werden, dass auch ihre Denkweise, Werthaltungen und Ansichten gleichgeschaltet sind. Bleiben solche Managementteams über einen längeren Zeitraum unverändert, etabliert sich in ihren Köpfen ein uniformes Gewohnheitsdenken und weitgehend ähnliche Auffassungen darüber, wie Unternehmen zu steuern sind. Alle haben ein ähnliches Bild von den Unternehmenszielen, alle rennen in ähnlicher Weise darauf los. Ist dieser Denkmodus schlecht und korrekturbedürftig?

Sicherlich nicht. So lange sich die Voraussetzungen für die Zielerreichung nicht ändern, ist alles in Butter. So lange das Geschäftsumfeld einigermaßen konstant ist, läuft alles wie am Schnürchen. Sobald sich unser Managementteam allerdings stark veränderten Rahmenbedingungen, Herausforderungen oder gar Krisen stellen muss, laufen die vorbeschriebenen Gewohnheitsmechanismen ins Leere. Die Unternehmenssteuerung droht zu versagen, die Zielerreichung wird deutlich erschwert (wenn nicht verunmöglicht).

Es braucht somit einen neuen Denkmodus und das Unternehmen sucht daher sein Heil in QuereinsteigerInnen. Diese stellen ihre Andersartigkeit gerne zur Schau, indem sie im Sweater ins Büro kommen, Mitarbeiter duzen oder auf Dienstautos verzichten. Schließlich soll für alle sicht- und hörbar sein, dass sich im Unternehmen etwas ändert.

Dieses Anderssein hat jedoch seinen Preis: es stellt eine Intervention dar, die vom beruflichen Umfeld nicht nur positiv wahrgenommen wird. Führungskräfte, die anders als gewohnt denken und dann auch noch ihren Mitarbeitern denselben Denkmodus abverlangen, lösen damit Reaktanz – also offenen Widerspruch, öfter jedoch stillschweigende Ablehnung – aus. Die Kollegen rümpfen ob der organisationalen Veränderungen des Neuen die Nase, können sie nicht verinnerlichen, wollen sie nicht mittragen. Man äußert Kritik oder sucht heimlich Verbündete, die das Althergebrachte ebenfalls bewahren wollen. Man taktiert, verhindert, blockiert. Die Arbeit des Quereinsteigers wird hintertrieben und Neuerungen verunmöglicht. Unruhe entsteht im Unternehmen – so hatten sich die Verantwortlichen die Arbeit mit dem Neuen nicht vorgestellt. In der herrschenden Managerdenke muss Change schließlich rasch, effizient und „smooth“ ablaufen. Die Organisation soll ohne größere Wellen linear von A nach B transformiert werden.

Schnell machen Gerüchte über Differenzen im Vorstand die Runde. Bald darauf wird der Quereinsteiger wieder vom alten Managertypus ersetzt. Der Wunsch nach Homogenität in der Führungsriege – und damit nach Stabilität und Kontinuität in der Unternehmensentwicklung – ist stärker als die Einsicht in notwendige Veränderungen. Gerade in schwierigen Zeiten gilt es, Stärke zu demonstrieren – und dafür eignet sich nichts besser, als ein homogenes Führungsteam.  👨‍💼👨‍💼👨‍💼👨‍💼

Mehr über derlei Themen gibt´s in meinem Fachbuch "Spannungsfelder im Topmanagement - Ein Praxisleitfaden für gute Corporate Governance" zu lesen.

 

Christoph W. Dietrich, 2.10.2023