Werteorientierte Unternehmensführung im Swiss Code for Corporate Governance

Die Prinzipien guter Unternehmensführung sind stets im Fluss. Gerade in unserer Zeit werden Best Practice Vorgaben für Corporate Governance massiv von gesellschaftspolitischen Strömungen beeinflusst. Governance-Regelwerke rund um den Globus sind aufgefordert, sich damit auseinanderzusetzen. Manche gehen dabei modern-progressiv zu Werke und versuchen, neuen Ideen gerecht zu werden. Andere wiederum verharren in einer traditionell-konservativen Ausgestaltung. Ein vergleichender Blick über die Grenzen hinweg lohnt allemal, weswegen ich mir den „Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance“ (Swiss Code) näher besehe und mit den deutschen und österreichischen Governance-Regelwerken vergleiche.

Was mir am Swiss Code besonders gefällt? Er fokussiert auf den Umgang mit Interessenkonflikten und stellt die Unabhängigkeit von Gremienmitgliedern besonders heraus. Außerdem zeigt er Ansätze einer werteorientierten, holistischen Unternehmensführung und stellt einen unmittelbaren Bezug zwischen Corporate Governance, Leadership und Unternehmenskultur her. Meine Leser wissen: dabei handelt es sich um meine Lieblingsthemen, die ich auch in meinem Buch "Spannungsfelder im Topmanagement - Ein Praxisleitfaden für gute Corporate Governance" bespreche.

Punkt 9 (Aufgaben des Verwaltungsrats) des Swiss Code beinhaltet punkto Interessenkonflikte folgende Formulierung: „Verwaltungsrat und Geschäftsleitung setzen die Unternehmensinteressen stets vor allfällige persönlich Interessen und die Interessen Dritter.“ Grundsatz 20 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) bestimmt hingegen: „Die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat sind dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Sie dürfen bei ihren Entscheidungen weder persönliche Interessen verfolgen noch Geschäftschancen für sich nutzen, die dem Unternehmen zustehen.“ Regel 44 des Österreichischen Corporate Governance Kodex (ÖCGK) wiederum besagt: „Aufsichtsratsmitglieder dürfen bei ihren Entscheidungen keine eigenen Interessen oder die ihnen nahestehender Personen oder nahestehender Unternehmen verfolgen, die im Widerspruch zu den Interessen des Unternehmens stehen, oder Geschäftschancen, die dem Unternehmen zustehen, an sich ziehen.“ Der Vorstand hat laut Regel 22 des ÖCGK seine Beschlüsse frei von Eigeninteressen und Interessen bestimmender Aktionäre zu fassen.

Der Swiss Code besticht im Vergleich zu DCGK und ÖCGK durch seine schnörkellose, einfache, aber auch strenge („stets“) Formulierung, die meiner persönlichen Auffassung hinsichtlich eines gedeihlichen Umgangs mit widerstreitenden Interessen am besten entspricht. Ein konzise Anleitung zur Bearbeitung von Interessenkonflikten liefert er ebenso.

Punkt 12 des Swiss Code besagt, dass der Verwaltungsrat die Unternehmenskultur prägt. Diese Formulierung ist insofern bemerkenswert, als weder der ÖCGK noch der DCGK in irgendeiner Weise auf die Unternehmenskultur und die kulturellen Gestaltungsmöglichkeiten des Topmanagements referenzieren. Als Organisationsberater und Managementtrainer erachte ich Punkt 12 als unerlässlich für eine gute Corporate Governance, insbesondere weil er im Detail ethische Forderungen stellt, die für die Unternehmensführung im Allgemeinen und das Sitzungsmanagement im Besonderen beachtlich sind. „Der Verwaltungsrat fördert eine Kultur, die zu unternehmerischem Handeln ermutigt und von Integrität, Langfristigkeit und Verantwortung geprägt ist. Fragen und heikle Themen sollen offen angesprochen werden können.“ Damit streicht der Swiss Code eine wesentliche Führungsaufgabe heraus (nämlich die Motivationsarbeit) und moniert gleichzeitig wichtige Unternehmenswerte, die tragende Säulen einer guten Corporate Governance Kultur darstellen: Integrität, Nachhaltigkeit, Verantwortung und Offenheit. Darüber hinaus referenziert Punkt 12 des Swiss Code auf Whistleblowing bzw. Hinweisgeberschutz und trägt damit dem Verwaltungsrat die Beachtung des Transparenzgebots zur Stärkung einer Verantwortungs- und Integritätskultur auf. Der letzte Satz des Punktes 12 veranlasst den Verwaltungsrat, regelmäßig über die Umsetzung einer Verantwortungskultur im Unternehmen Rechenschaft abzulegen.

Wie bereits oben erwähnt, gehen weder DCGK noch ÖCGK auf die Unternehmenskultur ein. Wie werden in jenen Regelwerken die vorgenannten Unternehmenswerte berücksichtigt? Wird dem Vorstand und dem Aufsichtsrat eine zumindest weiche Verpflichtung zu werteorientierter Unternehmensführung auferlegt?

Der Wert „Verantwortung“ findet im DCGK ausschließlich im Zusammenhang mit den Prinzipien verantwortungsvoller Unternehmensführung (die nicht im Detail erörtert werden) und der Sorgfaltspflicht der Organe Verwendung. Ähnliches gilt für den ÖCGK.

„Integrität“ wird nicht explizit erwähnt, allerdings referenziert die Präambel des DCGK auf das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns und verlangt den Organen ein „ethisch fundiertes […] Verhalten“ ab. Der ÖCGK hingegen hat nichts Vergleichbares aufzuweisen.

„Nachhaltigkeit“ findet sich im DCGK in der Form einer Empfehlung in Grundsatz 2 A.1, die der Unternehmensführung und -planung die Berücksichtigung von Sozial- und Umweltfaktoren auferlegt. Der ÖCGK enthält diesbezüglich eine ähnliche Formulierung in Punkt 16a. Gemäß DCGK sollen sowohl das interne Kontrollsystem als auch das Risikomanagement nachhaltigkeitsbezogene Ziele prüfen (s. Grundsatz 4, A.3). Grundsatz 6 i.V.m. Grundsatz 11 verlangen vom Aufsichtsrat Nachhaltigkeitskompetenz, um den Vorstand in derlei Fragen beraten zu können. Ein Äquivalent zu den beiden letztgenannten Bestimmungen findet sich im ÖCGK nicht.

Grundsatz 13 des DCGK sieht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und eine offene Diskussion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat als Eckpfeiler einer guten Unternehmensführung. Auch Punkt 10 des ÖCGK fordert eine offene Gremiendiskussion.

Weder der DCGK noch der ÖCGK monieren eine Anleitungspflicht der Topgremien in Bezug auf unternehmerisches Handeln. Die „Ermutigung zu unternehmerischem Handeln“ findet sich lediglich im Swiss Code, der damit die Förderung unternehmerischer Werte und einer unternehmerischen Umsetzungskompetenz als governance-relevant sieht.

Wie oben erwähnt, hat der Verwaltungsrat gemäß Punkt 12 des Swiss Code dafür Sorge zu tragen, dass Mitarbeitende Unregelmäßigkeiten melden können, ohne dafür Nachteile zu erleiden. Das Unternehmen hat auf diese Meldungen zu reagieren. Compliance und Hinweisgeberschutz - und damit die Verwirklichung eines modernen Transparenzprinzips - sind somit für den Swiss Code unmittelbar governance-relevant. Auch Grundsatz 25 A.4 des DCGK besagt, dass Beschäftigte des Unternehmens und Dritte Hinweise auf Rechtsverstöße geben können sollen. Durch die Einbeziehung der „Dritten“ geht der DCGK sogar noch weiter als der Swiss Code. Der ÖCGK hingegen weist keine derartige Regelung auf.

Zusammenfassend zeigt der Swiss Code im Vergleich zu den Regelwerken in Deutschland und Österreich inspirierende Ansätze für die Integration werteorientierter Unternehmensführung in die Corporate Governance. Der DCGK und besonders der ÖCGK sind ausschließlich juristisch ausgelegt und haben in Sachen Leadership und Unternehmenskulturgestaltung nichts zu bieten. Gute Corporate Governance beschränkt sich allerdings nicht nur auf die Gestaltung des Zusammenwirkens zwischen den Führungsgremien, sondern beeinflusst Führung und Kultur auf allen Unternehmensebenen. In diesem Sinne mögen sich künftige Kodexänderungen in Deutschland und Österreich ein Beispiel am Swiss Code nehmen.

Christoph W. Dietrich

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Dieser Beitrag bezieht sich auf den „Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance“ in der Fassung vom 14.11.2022, den „Deutschen Corporate Governance Kodex“ vom 28.4.2022 und den „Österreichischen Corporate Governance Kodex“ vom Jänner 2023.

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